How to copy and paste

Ein Versuch über das Kopieren im

Werk Sandra Machels in zwei Texten

 

Erster Text

 

Mein Blick streift durch einen Raum voller Objekte und Bilder. Er ist unbefangen und offen, stolpert über einige bunte Farbflächen, ruht sich am Weiß der freigelassenen Stellen an der Wand aus, nimmt Anlauf, kriecht unter ein, zwei grellen Farbflächen hindurch und bleibt schließlich an zwei Ästen haften. Sind das wirklich Äste, die da so beiläufig an der Wand lehnen, wie Zwillinge auf einer Party, die noch nicht an Fahrt aufgenommen hat? Der Vergleich mit den Zwillingen drängt sich auf, denn sie gleichen sich – abgesehen von der Farbe – bis auf die feinste Maserung. Dennoch sind sie grundverschieden – der eine ist dunkelbraun, der andere oxidgrün, der eine ist aus Holz, der andere ist aus Metall. Auf der Suche nach Bedeutung, eine Abkürzung nehmend, sage ich mir: Ein Ast ist ein Ast – nicht mehr und nicht weniger – und merke, dass ich damit der Künstlerin Sandra Machel bereits in die erste Falle getappt wäre. Ein zweiter Blick belohnt mich mit der Einsicht, dass

es sich nur beim rechten Ast, um ein reales Fundstück aus dem echten Leben handelt und natürlich weiß ich nicht, ob es das überhaupt gibt – ein echtes Leben, doch mit derlei Fragen scheinen sich die beiden Äste nicht länger befasst zu haben. Sie überzeugen durch ihre reine Dinglichkeit. Er – der einsame, abgebrochene und halbverrottete Ast – lehnt als ein trauriges Überbleibsel eines jahrelangen Wachstumsprozesses an der Wand. Ich frage mich, was alles

geschehen musste, damit aus einem kleinen Samen ein Baum werden konnte, der Äste dieser Größe hervorbringen konnte. Auch ohne biologische Kenntnisse ist es leicht zu verstehen, dass bei der Entstehung dieses Baumes so viele glückliche Zufälle zusammengekommen sein mussten, dass es nach rationalem Ermessen geradezu unmöglich zu sein scheint, dass dieser Baum überhaupt jemals entstehen konnte. Die Dinglichkeit seiner Existenz beinhaltet

vordergründig die schiere Unmöglichkeit seiner Entstehung aber auch das Gegenteil – die Unmöglichkeit, dass dieser vom Glück verwöhnte Baum jemals sterben und seine Äste verlieren konnte. Das Auflesen eines solchen Astes trägt im Allgemeinen häufig ein Staunen darüber in sich, dass dieser Ast nicht mehr da ist, wo er einst hingehörte und nicht mehr tagtäglich sein unfassbares Glück auszustellen vermag. Die Fülle an Glücksmanifestationen der Natur und ihr freudiges Juchzen über die Überwindung der rationalen Unmöglichkeit ihrer Existenz sind es wahrscheinlich, die den Besuch eines Waldes zu einem so

beglückenden Ereignis werden lassen. Wir nehmen Anteil an dieser Freude, die den Tod bezwingt. Und Sandra Machel? Sie schaltet sich genau an dieser Stelle ein, greift sich den Ast, nimmt ihn mit nach Hause, findet etwas an ihm und gießt ihn in Metall. Sie hat damit keine Demonstration seines Niedergangs, sondern ein überzeitliches Monument geschaffen. Sandra Machel zeigt in ihren Werken Wachstum und Tod sowie Schönheit und Zerfall gleichermaßen als die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Mit dem Kopieren des Astes übersetzte sie seine Energie in etwas Überzeitliches und machte damit erst seinen eigentlichen Sinn sichtbar. Das Kopieren ist vor allem in der Bildhauerei

eingebettet in eine jahrtausendealte Tradition und hat daher nichts mit Raub oder Täuschung zu tun – vielmehr zeigt die Arbeit der Künstlerin, dass das Kopieren Qualitäten offenbart, die im Original verborgen blieben. Die Künstlerin wäscht sie das Kopieren von Vorwürfen des Ideenraubs, der Bereicherung am Original oder gar der Wertminderung des Originals rein – sie singt das hohe Lied der Kopie.

 

Zweiter Text

 

Sandra Machel wurde 1981 in Potsdam geboren und machte 2009 ihr Diplom an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Bonn.

Zuvor war sie ein Jahr lang Meisterschülerin bei Professor Gia Edzgveradze. Unberechenbarkeit scheint ihr Handeln genauso auszumachen, wie der Wunsch sich und ihre Kunst im Gespräch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern ständig weiterzuentwickeln. Sandra Machel legte ihr Diplom mit einer installativen Arbeit ab. Dies überraschte nur insofern, als daß sie den gesamten Verlauf ihres Studiums einzig und allein als Malerin in Erscheinung getreten war.Warum sie genau dann bildhauerisch reüssierte, als ihre Malfertigkeiten gefragt gewesen wären, unterstreicht die Einstiegsthese. Nach ihrem

Diplom arbeitete sie zunächst als freie Mitarbeiterin in der Kunstgießerei Friedemann Sander in Bonn-Beuel, lernte dabei viel über Bildhauerei und Gießverfahren und war zudem als Lehrbeauftrage – unter anderem auch an der Alanus Hochschule – tätig. Auch wenn sie zunächst die Seite gewechselt und selbst zur Lehrerin geworden war, wurde sie nicht müde andernorts nach Antworten auf ihre eigenen Fragen zu suchen.

Auf Fragen, die sie sich selbst noch nicht beantworten konnte, oder wollte. Zunächst suchte sie sich ihre Professorinnen und Professoren noch im akademischen Milieu – in München zum Beispiel bei Jorinde Voigt, deren Klasse sie zwischen 2016 und 2017 besuchte. Danach verlagerte sie ihre Suche nach Antworten auf Künstlerinnen und Künstler, deren Werk sie inspirierte und entschied die Formate ihrer Weiterbildung selbst. Mit dem belgischen Maler Michael Borremans, dem ewig raunenden und im Sentiment des Unheimlichen wühlenden Maler aus Gent traf sie sich mehrere Male. Man sieht ihren Malereien und Skulpturen die Beschäftigung mit Borremans manchmal an. Diejenigen

Werke, die an Borremanns Stil erinnern, sind jedoch keine bloßen Borremanns-Etüden. Sie sind keine Kopien im Sinne eines Abklatsches seiner Bildwelten. Sie sind viel mehr Resultate von tiefschürfenden Gesprächen und von gemeinsamen Beobachtungen. Ihre Unberechenbarkeit ist dabei das Eine, ihr Wunsch zu verstehen und voran zu kommen das andere. Um Repräsentation geht es ihr wohl aber auch und um die Verneinung der Möglichkeit von Repräsentation. Ihre aktuelle Ausstellung nennt sie nicht von ungefähr „REPRÄSENTATIVE EINZELFÄLLE“ – ein Paradox, dass nicht lösbar zu sein scheint. Ein Einzelfall steht für sich und etwas Repräsentatives steht für das große Ganze. Daher plädiere ich dafür, nicht die Erscheinung ihrer Einzelwerke

als repräsentativ zu betrachten, sondern ihre Strategie der Motivauswahl und Kompositionen, die ihr aus den Quellen der Unberechenbarkeit und der Intuition, der Adaption und Abwandlung entspringen, als das eigentlich Repräsentative ihres Schaffens zu verstehen. Schließlich liegt für mich gerade im Moment der intuitiven Auswahl von Objekten und Bildern die große Qualität dieser Arbeiten, die nichts mit Kopieren und Einfügen, nichts mit copy and paste und dafür umso mehr mit Auswählen und Übertragen zu tun haben.

 

Frank-Thorsten Moll
Direktor IKOB - Museum für zeitgenössische Kunst, Eupen